Beide Gottesdienste sind mit mehr als 1000 Anmeldungen ausgebucht laut Pfarrer Vincenzo Petracca. (Archivbild) Foto: AFP/JOHN MEDINA

Am Sonntag finden in Heidelberg zwei Taylor-Swift-Gottesdienste statt. Freie Plätze gibt es keine mehr. Wissenschaftler sagen: Kirchliche und Popkultur passen gut zusammen.

Am Sonntag ist es soweit: In der evangelischen Heidelberger Heiliggeistkirche finden zwei Taylor-Swift-Gottesdienste statt. Laut Pfarrer Vincenzo Petracca sind beide ausgebucht. „Wir haben mehr als 1.000 Anmeldungen. Es ist wirklich verrückt, es ist wie Heiligabend“, sagte Petracca lokalen Medien.

Dabei wird die amerikanische Singer-Songwriterin, die gerade mit dem neuen Album „The Tortured Poets Department“ wie gewohnt die Charts und Streaming-Dienste erobert, natürlich nicht anwesend sein. Ihre Songs werden von einer Live-Band interpretiert; ihr Leben und ihre Texte werden christlich gedeutet, wie Petracca erläutert.

Schon mehrere Gottesdienste in Reihe „Citykirche Rock ‚n’ Roll“

Es ist nicht das erste Mal, dass der 60-Jährige beim Gottesdienst auf die Kraft der Popkultur setzt. In den vergangenen zehn Jahren gab es in der Reihe „Citykirche Rock ‚n’ Roll“ bereits Gottesdienste mit Musik der Beatles, von Madonna, Bob Dylan, Michael Jackson und Leonard Cohen. Religiöse Biografie- und Text-Exegese inklusive. Ein cleverer kirchlicher Anschlussversuch im Zeitalter der offenen Spiritualität?

Bereits 2007 hob der kanadische Philosoph Charles Taylor in seinem Buch „Das säkulare Zeitalter“ die Ähnlichkeit zwischen traditionellen religiösen Festen und Rockkonzerten hervor. An die Stelle der gemeinschaftsstiftenden Feste der traditionellen Großverbände seien, wie er schreibt, neue Events getreten, welche „Augenblicke der Verschmelzung“ erzeugen können. „Die Angehörigen der Menge, die bei einem Rock-Festival jubelt, sind auf ähnliche Weise miteinander verbunden. In diesen Augenblicken der Verschmelzung herrscht große Erregung, die an den Karneval oder einige der großen Kollektivrituale der Vergangenheit erinnert.“

Kirche orientiert sich an Werten von Kultur-Ikonen

Bei einem Taylor-Swift-Gottesdienst findet demnach, so könnte man ableiten, eine doppelte Verschmelzung statt: Der kommerzielle Pop-Kult wird durch einen Repräsentanten eines traditionellen Fest-Anbieters religiös legitimiert, während der herkömmliche Gottesdienst-Raum der Kirche durch die allgegenwärtige Musik und Person des Popstars mit Energie aufgeladen wird.

Da die Kirche in der Postmoderne mit ihren eigenen Star-Angeboten in der Breite nur bedingt durchstößt, kann sie sich mithilfe mehr oder weniger religiös inspirierter Kultur-Ikonen leicht an deren Werte-Angeboten einhaken.

Taylor Swifts Texte sind deutungsoffen

Doch was für Werte symbolisiert Taylor Swift? In den Vereinigten Staaten ist darüber ein Streit zwischen liberalen und konservativen Christen entbrannt. Während sie die einen als Ikone für Rechte von Homosexuellen, für Geschlechtergerechtigkeit und Gewaltfreiheit verehren, wird sie von den anderen geradezu als heidnische oder sogar satanische Verführungsgestalt eingestuft. Ein Zeichen dafür, dass Taylor Swifts Texte und Statements deutungsoffen sind.

Genau diese Deutungsoffenheit qualifiziert sie vorzüglich als Populär-Ikone, an die sich auch die Kirchen andocken können. Der britische Musikwissenschaftler Rupert Till hat bereits am Beispiel von Stars wie Prince gezeigt, dass Deutungsoffenheit für jeden Star eine Grundbedingung für den globalen Massenerfolg ist.

Fans nehmen Platz von einem Gott ein

„Die populäre Ikone“, schreibt Till, „wird vom Betrachter, vom Konsumenten oder Fan gefüllt oder bewohnt. Das bedeutet, dass die Fans den Platz einnehmen, der traditionell von einem Gott eingenommen wird, und sich selbst vergöttern.“ Der Fan kann demnach beim Anblick einer populären Ikone seine Fantasie und Sehnsüchte auf das Objekt projizieren und sich dadurch selbst stärken.

Der Heidelberger Pfarrer Vincenzo Petracca wird am Sonntag sicherlich ein bisschen aufpassen, dass der Kult um Taylor Swift und das eigene Ego nicht zu üppig ausfällt - ohne mit Predigtmoral den Swifties ihren spirituellen Spaß zu verderben.